Herbert Brün

Über Musik und zum Computer

Verlag G. Braun Karlsruhe, 1971




Kapitel 7: Probleme der Verständigung

Selbst noch der leugnende Scherz hat stets etwas unleugbar Vorhandenes zum Gegenstand. Während eines Konzertes machte ein Zuhörer über ein für ihn neues Musikstück die abfällig gemeinte Bemerkung, daß ihn diese Klänge und Geräusche an den Lärm der Bauarbeitein erinnerten, die ihn des Morgens aus dem Schlafe reißen. Wenige Tage später mußte er an einer Straßenecke ein Gespräch unterbrechen, da in nächster Nähe, an einer Baustelle, mit ohrenbetäubendem Krachen ein Lastwagen seine eiserne oder steinerne Ladung auf den Arbeitsplatz schüttete. In die folgende kurze und relative Stille drängte der im Sprechen unterbrochene Zuhörer die scherzhaft bagatellisierende Meinung, daß das Ärgernis ihn an die neue Musik erinnere, die wohl auch nur so zu verstehen sei. Sowohl im Konzertsaal wie auch an der Straßenecke werden hier gedankliche Assoziationsvorgänge für erwähnenswert gehalten, deren private Formulierung für Kritik gehalten werden soll. Der Inhalt ist die Voraussetzung, daß Arbeitslärm und Musik sich voneinander unterscheiden. Die Deutung ist die Beobachtung, daß Arbeitslärm und neue Musik sich nicht voneinander unterscheiden. Der Scherz und sein Niveau aber werden von folgender Überlegung bestimmt: Komponisten wollen sicherlich keinen Arbeitslärm, sondern Musik machen. Wie lächerlich also muß die Musik dem Komponisten mißlungen sein, wenn der Zuhörer beim Hören dieser Musik an Arbeitslärm, und wenn der gleiche Zuhörer beim Hören von Arbeitslärm an diese Musik denken kann. Der Scherz leugnet, daß unter solchen Umständen noch von Musik ernsthaft die Rede sei, und beweist damit, daß der Zuhörer unleugbar vorhanden ist. Der Scherz würde sich gegen den Scherzenden richten, wenn man ihn umgekehrt interpretierte und verstehen würde, daß der Scherz beweise, wie Musik und Arbeitslärm unleugbar vorhanden seien, von einem Zuhörer jedoch unter solchen Umständen nicht ernsthaft die Rede sein könnte. So einfach ist es aber nicht. Auch ließe das Niveau des Scherzes sich derart nicht wesentlich heben. Vorausgreifend läßt sich nämlich absehen, wie das glossierende Talent den Zuhörer ins Absurde befördert und ihn verärgert scherzend reflektieren läßt, wie mißlungen doch den Arbeitern ihr Lärm sein muß, wenn der Zuhörer dabei an Musik denken kann. Daß überall hier und dort der Ernsthaftigkeit hämische Fallen auflauern, liegt in der Natur jeglicher Meinungsbildung, die an der Deutung mehr als am Gedeuteten interessiert ist. Und ein Scherz, der in die Fallen geht, die der Ernsthaftigkeit gestellt wurden, verfällt dem Spott. Dafür ein einfaches, allen Konzertbesuchern, Radiohörern und Schallplattenfreunden geläufiges Beispiel: Die fünfte Sinfonie von Beethoven.
Ein sehr populär gewordener Kommentar zu diesem Werk, besonders auf den Beginn gemünzt, lautet: „So pocht das Schicksal an die Pforte.“ Daher denn auch die Sinfonie oft „Schicksalssinfonie“ genannt wird. Man folge nun bitte zwei Gedankengängen. Nehmen wir an, daß der Satz vom an die Pforte pochenden Schicksal einst jemandem einfiel, als er unter dem gewaltigen Eindruck, den die Sinfonie auf ihn gemacht hatte, nach einer entsprechenden Analogie zu diesem Eindruck suchte. Fraglos standen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Die Entscheidung fiel unter dem Einfluß der Gestalt des Hauptmotivs. Das heißt, daß nach dem Erlebnis des ganzen Werkes, in der Erinnerung an den Anfang, dieser sich retroaktiv zu jener gewaltigen Bedeutung entfaltet hat, die man seiner eher primitiven und höchst lapidaren Gestalt an sich und alleine nicht ansehen oder anhören kann und soll. In diesem Sinne darf die Beziehung zwischen gehörtem Erlebnis und gesprochener Analogie als ernsthafte und subjektive Beziehung angesehen werden. Dieser Ernsthaftigkeit wird jedoch alsobald eine hämische Falle gestellt, wenn Hörer und Dirigenten verlangen, daß sogleich mit den ersten Takten der Sinfonie auch das Schicksal an die Pforten poche. Wenn also insinuiert wird, daß die vulgär-dramatische Vorstellung von Schicksalsschlägen durch ebenso pathetische Taktschläge imitiert werden solle. Wer, vor allem nach etwas längerem Leben, noch annimmt, daß so das Schicksal an die Pforte pocht, dessen Ernsthaftigkeit ist in die selbstgestellte Falle der Zitatzutraulichkeit gegangen, worin sie mit leisem Bedauern zu besichtigen ist. Zum Gespött schlechthin aber muß jener werden, der seine Gleichgültigkeit gegenüber der Sinfonie zum Fortschrittsbekenntnis prägen möchte, indem er mit ihm zeitgemäß scheinender und kulturvertrauter Überlegenheit ganz ernsthaft scherzt: „Da pocht mir zuviel Schicksal an die Pforte.“ Hier geht es nicht mehr um die gehörte Sinfonie. Hier wird nur noch das Wort, das über sie fiel, ernstgenommen und mitsamt seinem musikalischen Hintergrund verworfen.
Es existiert ein wesentlicher Unterscheid zwischen der selbsterfundenen Analogie, die einst den Eindruck eines musikalischen Erlebnisses auszusprechen versuchte, einerseits, und der unselbstständigen, von langer Hand erborgten Begriffsvermischung eines unbeeindruckten Hörers andererseits, der mit Musik die Bedeutungslosigkeit assoziiert, die Alltagsgeräusche für ihn haben.
Jedermann weiß, daß Verständnis und Freude nicht stets zusammenfallen, also auch nicht identisch sind. An mancherlei Verstandenem und Erkanntem mag die rechte Freude sich nicht einstellen. Und mancher Freude dürfte es schwer nachzuweisen sein, daß sie an Verstandenem sich entzündet habe. Ein Komponist, der dies – wie jedermann – weiß, ist also bereit, mit relativ ungerührter Liebenswürdigkeit folgende nüchternen Bemerkungen über den Eindruck seines Werkes zu vernehmen: „Habe die Musik verstanden. Auch hat sie mir Freude gemacht.“ –
„Habe die Musik verstanden. Hat mir aber keine Freude gemacht.“ – Habe die Musik nicht verstanden. Hat mir aber Freude gemacht.“ – „Habe die Musik nicht verstanden. Auch hat sie mir keine Freude gemacht.“ –
Mit der, wahrscheinlich mühsam kontrollierten, Liebenswürdigkeit des Komponisten ob so ehrlicher Nüchternheit dürfte es aber schnell ein Ende haben, wenn folgendes Wohlwollen sich nähert: „ Habe Freude an Ihrer Musik gehabt. Da gibt’s nichts zu verstehen.“ – „Habe keine Freude an Ihrer Musik gehabt. Die muß man ja verstehen.“ – „Kann Ihre Musik verstehen. Sie macht ja Freude.“ – „Kann Ihre Musik nicht verstehen. Sie macht ja keine Freude.“ – Der Komponist läßt sich gerne alles über den Zuhörer und seine Eindrücke sagen, solange der Zuhörer nicht von diesen Eindrücken auf die Beschaffenheit der Musik schließt. Wenn die Wohlwollenden also, auf Kosten des Verstandes, ihre privaten Freudegrade zum Maßstab des Kunstwerkes deklarieren wollen, dann müssen sie auch damit rechnen, daß der Komponist sich abrupt in die unzugänglichen Gebiete seiner Kompetenz zurückbegibt, wo er hoffen darf, auch dem wohlwollensten Sprachschatz unverständlich bleiben zu können.
Denn ein Problem der Verständigung ergibt das andere. Zum Beispiel kann ein unbeabsichtigt taktloses Wort den Komponisten wie eine Beleidigung verletzen. Da Taktlosigkeit ja aber auf Unwissenheit beruht, wird die vielleicht heftige Reaktion des Komponisten immer als das erste Glied einer Kette von Unstimmigkeiten betrachtet, obwohl es häufig das zweite war. Die alte Kinderfrage: „Wer hat angefangen?“ taucht hier wieder auf. Nun, es wäre von Fall zu Fall leicht zu klären, wer den Stein des Anstoßes in den Weg gepflegter Konversation geschoben hat, wenn nicht ein großer Teil der aus Unwissenheit gegangenen Taktlosigkeiten zum wortgewordenen Kulturempfinden und zur, als gültig vorausgesetzten, Umgangssprache gehörten. Würde es nicht für feinsinnig und gebildet gelten, in großen Musikwerken „besonders schöne Stellen“ zu bemerken, die man später in Kritik, Gespräch und Erinnerung als Kunstgegenstände anlagern kann, kein Mensch mit Takt und Erziehung würde einem Komponisten mit der Bemerkung nahen: „Ihr Werk enthält einige wunderbare Stellen!“, wenn er damit nicht sagen will, daß er das Werk höchstens stellenweise genießbar fand. Antwortet auf so etwas der Komponist: „Nennen Sie mir die Stellen. Ich schneide sie aus und schick sie Ihnen als Muster ohne Wert!“, so hält man ihn für hochmütig, ungezogen, und findet es schade, daß gerade begabte Künstler so gar keinen gesellschaftlichen Schliff haben. Der Komponist wiederum findet es schade, daß gerade freundlich gesonnene Hörer so gar keinen Geschmack haben und so gar kein Verständnis dafür, daß ohne den ganzen Komponisten und ohne das gesamte Werk die „wunderbaren Stellen“ überhaupt keinen Wert haben.
Einige weitere und unzählige Male sich wiederholende Gelegenheiten, bei denen Probleme der Verständigung beide Partner auf eine harte Geduldprobe stellen, seien in schematischer Vereinfachung und Kürze noch erwähnt.

1. Ein Komponist wird gebeten seine Komposition zu erläutern. Er tut es. Danach wird ihm vorgeworfen, er habe versucht, Musik zu erklären.

2. Ein Komponist wird gebeten zu erklären, was seine Musik bedeuten oder sagen oder ausdrücken oder beschreiben oder darstellen soll. Lehnt er es ab, wird er als Bewohner eines Vakuums oder eines elfenbeinernen Turmes verachtet. Willfährt er der Bitte, so wird seine Musik, als der Erklärung bedürftige, verachtet.

3. Ein Komponist wird gebeten zu erklären, wie er sein Werk komponiert habe und was das für ihn bedeute. Er erscheint mit einem Manifest, in dem er vorträgt, wie Musik zu komponieren und zu verstehen sei.

4. Ein Komponist wird gebeten, seine Ansichten über die allgemeinen Probleme der zeitgenössischen Musik mitzuteilen. Er erscheint mit einer Analyse seiner eigenen Werke.

5.

Ein Komponist wird aufgefordert, anläßlich der bevorstehenden Aufführung seines neuen Werkes einen erläuternden Kommentar für das Programmheft zu verfassen. Erklärt er darin, was, seiner Meinung nach, seine Musik von anderer Musik unterscheidet, so wird die Notiz nicht angenommen, und zwar aus Gründen, die es klar machen, daß von ihm eine Erklärung erwartet wurde, die dartun soll, wie nichts seine Musik von anderer Musik unterscheide.

Derlei ließe sich noch vieles anführen. Es wäre aber recht oberflächlich, würde man von solchen Vorkommnissen nur auf die Leute schließen und nicht auch auf die Sprache, würde man einfach für den einen oder anderen Partei nehmen und das Mittel, das beiden gemeinsam ist und undiskriminierend sich beiden zur Verfügung stellt, nicht einer Prüfung auf seine Gültigkeit in jedem einzelnen Falle unterziehen.
Hier und dort handelt es sich um gestörte Kommunikationsketten. Es sollte interessieren, daß in Meyer-Epplers schon oft zitierten Buch über Informationstheorie nicht nur das elfte Kapitel, worin es um die Sprache geht, mit der Überschrift:“ Die gestörte sprachliche Kommunikation“ versehen ist, sonders daß schon im ersten Kapitel, über die elementaren Kommunikationsketten, der gestörten Kommunikationskette viel Raum gewidmet wird. Es will scheinen, daß die Störung, die beim Laien meist eine unmutig abwinkende Reaktion provoziert, den wissenschaftlich Forschenden eher fasziniert. Das ist einfach zu erklären. Der Wissenschaftler, ja jeder denkende Mensch weiß, daß jegliche Information, also alles unerwartet Neue, oder unerwarteterweise Bestätigte, eine Störung der Selbstverständlichkeit des bis dahin Gewußten ist. Die Umkehrung dieses Satzes ist offenbar ein Risiko. Nicht jeder Störung entpuppt sich bei näherer Untersuchung als Information. Immerhin hat sich laut höchst kompetenter Stellen das Risiko gelohnt. Unter sorgfältig vorbereiteten Versuchsanordnung sind Störungen beinahe immer informationsträchtige Hinweise. Meyer-Eppler formulierte es so: „Ob die vom Expedienten intendierte Mitteilung vom Perzipienten verstanden wird, hängt davon ab, an welchen Stellen und in welchem Ausmaß die verschiedenen Glieder der Kommunikationskette Störeinflüssen ausgesetzt sind. Störungen können sowohl an den zugänglichen wie auch an den unzugänglichen Stellen der Kommunikationskette erscheinen, sowohl im Bereich der Signale wie auch im Bereich der Zeichen auftreten, und so die Beobachtung, die Diagnose oder die sprachliche Verständigung erschweren oder gar verhindern. Alle Maßnahmen, die zu einer Verminderung von Störungseinflüssen beitragen, sollen unter dem Oberbegriff Anpassung zusammengefaßt werden. Bei der sprachlichen Kommunikationskette ist sorgsam zwischen der Signalanpassung und der Zeichenanpassung zu unterscheiden; beide zusammen erst bewirken die möglichst verlustarme Informationsentgegennahme.“
Am Schluß des zitierten Abschnitts findet sich noch eine Mitteilung, daß die Informationstheorie, eine rein mathematische Theorie, Methoden bereitstellt, die gestatten, die Wirkung von Störungen auf den Informationsgehalt, der in der semantischen Sphäre übermittelt werden sollen, quantitativ zu beschreiben, ohne auf Art und Wesen der Störungen eingehen zu müssen. Da aber gerade Art und Wesen der Störungen uns hier mehr angehen als ihre quantitative Beschreibung, verlassen wir wieder die soliden Bahnen Meyer-Epplers und der Wissenschaft, erinnern uns aber, daß alle Maßnahmen, die zu einer Verminderung von Störeinflüssen beitragen, unter dem Oberbegriff „Anpassung“ zusammengefaßt werden sollen.
Wie soll ein Komponist sich also verhalten, wenn er mit viel Mühe und Lust eine Musik komponiert hat, die, wie er hofft, etwas Unerhörtes, Neues, Informatives, kurz: viele Störungen des schon Selbstverständlichen vermittelt und nun die Bestätigung seiner Leistung in Form eines empörten Vorwurfs erfährt? Wie soll zwischen beabsichtigter Störung und erlittener Störung die Anpassung gefunden werden? Es sei nun ein Aspekt des Problems vorgeführt, der zeigen soll, daß die Behauptung, der Hörer habe sich anzupassen, keiner Unverschämtheit des Komponisten das Wort redet, sondern dem Wesen des Problems entspringt.
Würde der Komponist seine Absicht, zu stören, aufgeben, so gelänge ihm nur noch bedeutungslose Musik, das heißt, die Anpassung fände statt, bevor ein störendes Geschehen dafür sorgen konnte, die Kommunikationskette zwischen Hörer und Komponisten beiden, sei es auch als gestörte, ins Bewußtsein zu bringen. Fehlt aber das Bewußtsein von einer musikalischen Kommunikationskette, so gibt es keinen Grund mehr, der vorhandenen Musik irgendwelche weitere oder andere hinzuzufügen Der Beruf des Komponisten würde in solchen Fällen in Ermangelung wahrnehmbarer Berufung eingehen.
Für den Hörer sieht es interessanter aus. Gelingt es ihm, dem Störenden den Stachel dadurch zu nehmen, daß er die Störung als überwindbar durchschaut, so nur deshalb, weil er begreift, daß zeitgenössische Kunst eben nicht aus gestörten Mitteilungen, sondern aus mitteilsamen Störungen bestehen muß. Er kann die Störung als Mitteilung empfangen. Das bedeutet Anpassung, nachdem etwas die Kommunikationskette zwischen Hörer und Komponisten, und sei es auch als gestörte, beiden ins Bewußtsein gebracht hat.
Der Komponist hat nur die Wahl, ob er Komponist sein will oder etwas anderes. Der Hörer kann sich aussuchen, ob oder was er hören will. Er bleibt Hörer, ob er sich dem Nichtgeschehen oder dem Geschehen anpaßt. Der Komponist kann sich nicht anpassen, ohne seine Existenz als Komponist zu opfern, und statt dessen ein tonsetzender Arrangeur zu werden. Er muß, koste es was es wolle, seine Mitteilungsabsicht solchen musikalischen Vorgängen anvertrauen, deren Störungseinfluß bis dahin von möglichst wenig Anpassungsmethoden vermindert wurde. Solche musikalischen Vorgänge sind schwer zu erfinden und schwer zu kombinieren. Darin liegt die Arbeit des Komponierens, wenn es dem Komponisten um eine musikalische Mitteilung geht. Häufig sagen solche professionellen Hörer, die einen guten Komponisten nicht von einem schlechten unterscheiden können, beiden nach, daß sie versucht hätten, um jeden Preis neu zu sein. Offenbar haben beide Werke nicht dem Anpassungsvermögen der Nachsager entsprochen. Tatsächlich versucht ein guter Komponist, eine Musik zu schreiben, die um jeden Preis da ist, und sei der Preis auch der Verzicht auf alles, was, auch von ihm geliebt, schon da war. Was neu gefunden wird, ist oft der Preis, um den es überhaupt gefunden werden kann.
Vor bald 200 Jahren schrieb Mozart an seinen Vater einen Geburtstagsbrief:

„Allerliebster Papa!

Ich kann nicht poetisch schreiben; ich bin kein Dichter. Ich kann die Redensarten nicht so künstlich einteilen, daß sie Schatten und Licht geben; ich bin kein Maler. Ich kann sogar durch Deuten und durch Pantomime meine Gesinnungen und Gedanken nicht ausdrücken; ich bin kein Tänzer. Ich kann es aber durch Töne; ich bin ein Musikus... Nun muß ich mit einer musikalischen Gratulation schließen. Ich wünsch Ihnen, daß Sie so viele Jahre leben möchten, als man Jahre braucht, um gar nichts Neues mehr in der Musik machen zu können.“

So heiter und launig der Brief wohl ist, so schwer dürfte es auch dem gierigsten Ohre sein, darin Schwingen des Genies rauschen zu hören. Der Brief wurde hier zitiert, um zu zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit für Mozart ein Musikus der Mann ist, der Neues in der Musik machen will und kann. Und mit welcher Selbstverständlichkeit Mozart Neues in der Musik erwartet, indem er sie zum Maße der Lebensdauer nimmt, die er seinem Vater wünscht. Derselbe Mozart, auf den sich viele Musikfreunde berufen, die heute in der Musik nichts Neues mehr für möglich und erträglich halten.
Ein brauchbarer Befund, dessen Richtigkeit sorgfältig und geduldig zu prüfen wäre, könnte etwa so lauten: Die wesentlichen Probleme der Verständigung zwischen Hörer und Komponisten sind beabsichtigte und planend durchdachte Störungen einer Kommunikationskette, die bliebe sie ungestört, leerlaufen oder zerreisen würde. Die wesentlichen Probleme der Verständigung verbauen nirgends, auch in der Musik nicht, den Zugang zu beabsichtigten Mitteilungen, sondern sie sind der Zugang selbst. Jede Kultur mißt sich an der Menge und Bedeutung der Probleme der Verständigung, die sie als solche erkennen und lösen konnte. Jede Musik, die ein solches Problem stellt, ermöglicht einen weiteren Akt der Erkenntnis und der Lösung, ermöglicht eine neue und das gegenwärtige Leben betreffenden Verständigung, und somit eine Vermehrung dessen, woran der Gesellschaft es noch allenthalben zu fehlen scheint. Die unwesentlichen Probleme der Verständigung, die mehr privaten und emotionellen, sind lediglich Symptome des Fehlens.



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