Schieb' ab nach Buffalo

DER AUF- UND ABSTIEG DER FIRMA MOOG


Letztes Jahr haben Sie und ich und eine Menge anderer Leute für alle möglichen elektronischen Klangerzeuger weltweit mehr als drei Milliarden Dollar ausgegeben. Ernsthaft. Diese durchaus stattliche Summe liegt ziemlich in der Mitte zwischen den Bruttosozialprodukten von Afghanistan und Bolivien. Das war nicht immer so.

Synthesizer sind keine kleinen Kinder mehr. Mit 20 Jahren sind sie eher in der Spätpubertät: zu jung, um ganz erwachsen zu sein, zu alt, um das als Entschuldigung zu benutzen und im verdammten Zwang, sich zwischen Uni und einem richtigen Job zu entscheiden.

Wir dachten uns, daß Sie gerne einen näheren Blick auf ihren geliebten Vater werfen wollen, den Typ, der alles in Gang gebracht hat. Hier also, wenn Sie so wollen, einige Babyfotos aus dem Album des Mannes, der auf seinem Weg viele Windeln waschen mußte.

Bob?


Bob Moog und Herb Deutsch (1963)



Die Geburt des Ganzen

Als ich mich im Sommer 1963 mit meinem Laden in Trumansburg, New York, niederließ, sah meine Doktorarbeit in Cornell gerade ihrem Ende entgegen. Es gab die vage Absicht, ins Verstärkergeschäft einzusteigen. Ich hatte keine blasse Ahnung von Synthesizern oder elektronischer Musik. Es gab nur mich und eine Handvoll Leute in einem Ladenlokal. Wir entwickelten einen transportablen, batteriegespeisten Instrumentenverstärker - der nie in Produktion ging, weil er viel zu teuer war. Das ist eine der Lektionen, die Sie lernen, wenn Sie in die Konsumentenelektronik einsteigen: Der wichtigste Parameter jedes Produkts ist der Preis. Alles orientiert sich am Preis, wie sich in der Musik alles an der Zeit orientiert.

Während des Verstärkerprojekts stellte ich im Kundenauftrag Theremin- Instrumente her. Das machte ich schon, seit ich 19 war - nur ein Hobby, aber es brachte ein bißchen Geld ein. Mein New Yorker Repräsentant, Walter Sear, machte gerade Billigfilme. Bevor er Billigfilme machte, machte er Pornos und bevor er Pornos machte, verkaufte er Tubas und meine Theremins. Er lud mich ein, ihm bei einer Theremin- Vorführung für Lehrer der New York State School Music Association zu helfen. Die Vorführung fand im Concord Hotel statt, und dort traf ich Herb Deutsch.

Alles was ich über elektronische Musik wußte, war, daß es wohl an der Columbia Universität ein paar Leute gab, die ein Ding mit dem Namen Columbia-Princeton Electronic Music Center betrieben, und daß sie wohl manchmal Konzerte gaben und daß man vielleicht mehr herausfinden sollte. Herb war Musiklehrer bei Hofstra und machte seine eigenen experimentellen Tonband-Kompositionen. Er lud mich zu einem Konzert in seinem Studio ein, das ein Bildhauer namens Jason Seley gab, der mit zusammengeschweißten Stoßstangen arbeitete. Es waren sehr schöne Skulpturen, die - viel wichtiger - auch noch tolle Percussionsinstrumente abgaben. Das Konzert war sehr aufregend. Die visuelle Idee, eine Skulptur zu spielen, das Zusammenspiel der elektronischen und akustischen Klänge und die ganze Idee der Klangfarbenmusik machten mich total an. Es gab keine Harmonien oder Melodien: nur reine Klangfarbenräume.

Herb und ich blieben in Verbindung. Ich baute mehr oder weniger in meiner Freizeit zwei spannungsgesteuerte Oszillatoren und zwei spannungsgesteuerte Verstärker und eine Art Steuergerät. Damit konnte man die Klänge ein- und ausschalten und die Tonhöhe und die Modulationsgeschwindigkeit kontrollieren. Ich hätte genausogut ein paar Türklingeln nehmen können. Herb schaute mit seiner Familie vorbei, die er immer in einer Hütte im State Park absetzte, während wir drei Wochen durcharbeiteten. Er flippte aus, als er hörte, was meine Pappschachteln konnten. Nach einem weiteren Treffen hatten wir die Grundlagen eines modularen analogen Synthesizers.

Natürlich hatte keiner von uns beiden auch nur eine Ahnung, wohin das führen würde.

Wir gingen nach Kanada zum elektronischen Musikstudio der Universität von Toronto, das seinerzeit von Myron Schaeffer geleitet wurde. Er flippte aus. Er war der erste aus dem Establishment der Elektronikszene, der uns Unterstützung gab. Das sprach sich rum, und im September rief Jaqueline Harvey von der AES, die damals noch sehr klein war, an. Sie sagte: "Wir haben gehört, daß da bei euch... was interessantes... läuft." Worauf ich sagte:" Naja, kann sein." Sie erklärte mir, daß sie eine Ausstellungsfläche auf der kommenden AES Show zu vergeben hätten, weil CBS die Fläche gemietet hatten und danach entschieden, sie doch nicht zu benutzen. Nun, ich wußte nichts über die AES. Ich wußte nichts über New Yorker Messen. Ich wußte nichts über die Audio-Industrie. Ich wußte nichts über Ordern, Verkaufen und Aufträge schreiben. Ich machte das ja nur als Hobby. Also ging ich hin und setzte meine paar handgemachten Module auf einen Tisch. Auf einer Seite waren Ampex mit ihren gewaltigen Bandmaschinen und auf der anderen Seite waren 3M und gegenüber war Scully... Ich war wirklich ein David unter Goliaths und fühlte mich deutlich fehl am Platz. Aber Jimmy Seawright, ein Techniker am Columbia-Princeton Electronic Music Center, kam, schaute sich das Ganze an und sagte: "Das wäre was für (den Choreographen und Komponisten) Alwin Nikolais." Nicolais kam später vorbei, und das völlig Unerwartete passierte: Er gab einen Auftrag.

Tatsächlich bekamen wir auf der Messe zwei oder drei Aufträge, und die gaben uns ungefähr sechs Monate Arbeit. So ging' s los.


Das Big Business

Bis zum Sommer 1965 war es eine Teilzeitbeschäftigung. Ich hatte damals acht oder zehn Leute beschäftigt, aber die Arbeit lief schlecht, und wir konnten unsere Termine nicht einhalten. Wir arbeiteten gerade an Spezialanfertigungen für John Cage, als um 9 Uhr abends das Telefon klingelte. Es war mein Doktorvater: "Moog, alles, was nicht bis morgen früh um neun auf meinem Schreibtisch liegt, fliegt aus Ihrer Dissertation raus." So kam ich doch noch zu meiner Doktorarbeit. Ich hab' sie in dieser Nacht zuende geschrieben.

Nachdem das endlich vorbei war, machten wir Vollzeitarbeit. Aber ein Business? Seriös gesehen waren wir nie eine richtige Firma. Nie. Wir hatten zwar einige Voraussetzungen dazu, aber es gab weder die Kontrolle, noch die Voraussicht, geschweige denn die Planung, die eine wirkliche Firma ausmachen. Wir konnten das einfach nicht. Wir waren dauernd in den roten Zahlen. Wir hatten kein Kapital. Nichts. Null! Aber irgendwie schafften wir es doch, am Leben zu bleiben.


Der wundersame Rei-Bach

Wendy Carlos studierte bei Ussachevsky am Columbia-Princeton Center. Ich lernte sie kennen, als wir alle zusammen chinesisch essen waren. Als es ein Geschäft wurde, arbeitete Wendy als Toningenieur bei Gotham Records, einem der damals schicken Studios. Nebenbei probierte sie ihre eigenen Möglichkeiten aus. Sie fing an, einzelne Module zu ordern und bot umfangreiche Kritik an. Sie hatte ein wirklich instinktives Verständnis dafür, was ich richtig oder falsch machte. Die Festfilterbänke waren beispielsweise ihre Idee (Anmerkung des Übersetzers: Danke, Wendy!), wie auch eine Menge anderer Sachen; ich krieg das nicht mehr richtig zusammen. Ihre Vorschläge kamen immer auf den Rückseiten von Briefumschlägen oder per Telefon. Wendy hatte bereits einige Bach-Stücke gemacht, und sie und Rachel Elkind, Goddard Liebersons Sekretärin bei CBS, entschieden, daß eine Schallplatte mit elektronischer Musik auf der Grundlage von Bach-Werken interessant wäre.

Auf der AES-Versammlung 1968 in New York City stellte ich ein Papier über die unterschiedlichen Organisationsmöglichkeiten eines elektronischen Musikstudios vor. Zu dem Zeitpunkt kannten wir Sequencer, wir wußten etwas über Computersteuerung, waren mit der Mehrspur- Aufnahmetechnik vertraut, usw. Am Ende der Diskussion sagte ich zu dieser durchaus großen Versammlung: "Als Beispiel für die Kompositionsarbeit mit Mehrspurtechnik in einem Elektronikstudio möchte ich Ihnen Ausschnitte aus einer Platte mit Bach-Musik vorspielen, die demnächst veröffentlicht wird." Es war der letzte Satz von Wendys 3. Brandenburgischen Konzert. Ich verließ die Bühne und ging nach hinten. Die Leute hörten zu, und ich konnte es förmlich riechen: Sie waren vollkommen von den Socken. Diese technisch orientierten Leute waren mit soviel Blödsinn, mit so viel minderwertigem, opportunistischen Zeug beschäftigt; aber hier war etwas, das einfach makellos realisiert war, offensichtlichen musikalischen Inhalt besaß und total innovativ war. Das Band bekam stehende Ovationen.

CBS hatten keine Ahnung, was sie mit Switched-On Bach besaßen. Als die Platte rauskam, quetschten sie sie noch in eine Studio-Presse-Party für Terry Rileys In C und eine grauenhafte Platte namens Rock And Other Four Letter Words. Die Carlos war so stinkig, daß sie sich weigerte, zu kommen. Also fragten CBS in ihrer Repräsentationsgier mich, ob ich den Synthesizer dort demonstrieren könnte. Ich kann mich noch erinnern, daß es eine hübsche große Schale voller Joints auf dem Mischpult gab. Und da war Terry Riley in seinem weißen Jesus-Anzug auf einem Sockel und spielte auf einer Farfisa-Orgel zu Band-Echos. Von Rock And Other Four Letter Words wurden einige tausend Stück verkauft. Von In C wurden einige zehntausend verkauft. Von Switched-On Bach wurde über eine Million verkauft, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Walter Sear hatte sich die Madison Avenue hoch und runter geschuftet und kommerziellen Musikproduzenten, die für Werbeagenturen arbeiteten, Modulsysteme verkauft. 1968 hatte er ungefähr 40 Kunden, aber dann kam Switched-On Bach raus, und die Kacke war am Dampfen. Jeder Plattenproduzent mußte 1969 unbedingt eine Moog-Platte haben. Wir bekamen Aufträge von CBS, NBC, Elektra und einer Menge anderer Typen. Und die Jungs wollten nicht einfach "eins von diesen und zwei von jenen Modulen". Sie sagten: "Ich brauch' Dein größtes System" und erwarteten, daß sie Geld machen würden wie die Carlos. Ich könnte Ihnen einige dieser Platten vorspielen. Ein paar kann man sich noch anhören, aber meistens war es zynischer, alberner, opportunistischer Mist: Würfel eine Gruppe zusammen, nimm ein paar Streicher, Bläser und Vocals auf und laß ein bißchen Platz für neuartige Melodie-Linien vom Synthi. Das in etwa war die Szene '69. Moog- Platten.


Das Big Business (schlägt zu)

In unserer besten Zeit spuckten wir zwei bis drei Modulsysteme pro Woche aus. Wir hatten 42 Angestellte und waren das gesamte Jahr 1969 und die erste Hälfte 1970 ausverkauft.

Dann kamen drei Kräfte zusammen. Erstens war der Markt langsam gesättigt. Die Jungs, die auf den Zug mit den Moog-Platten gesprungen waren, hatten keine Hits. Also verscherbelten sie ihre Synthesizer. Zweitens hatten wir durch ARP plötzlich Konkurrenz. Ihre Synthesizer hatten den Reiz stabiler Oszillatoren und keine Kabel- Dschungel. Drittens kam eine allgemeine Rezession, die die Musikproduzenten zur Sparsamkeit zwang. Von einem Tag auf den anderen hatten wir keine auszuführenden Aufträge im Wert von einer Viertelmillion mehr, sondern gar keine Aufträge. Was wir hatten, war der Minimoog. Wir hatten Nachfragen von Studiomusikern bekommen, ob wir den ganzen Krempel nicht in ein schönes kleines Gehäuse bauen könnten, das man bequem mit zum Gig nehmen könnte. Wir bauten so was, wußten aber nicht, wie wir es verkaufen sollten. Musikgeschäfte hatten ja keine Synthesizer.

Null Verkäufe, dicke Rechnungen, jede Menge Inventar und kein Kapital. Ich hatte schon seit einiger Zeit nach Kapital gesucht, aber das ist eine der Sachen, für die ich absolut ungeeignet bin. Ich konnte keinen einzigen Geldmenschen dazu bewegen, in die Firma zu investieren. So kam es, daß ein gewisser Bill Waytena die Firma übernahm. Der Typ war darauf spezialisiert, kaputte Firmen zu kaufen, sie aufzumotzen und wieder zu verkaufen. Der Deal kostete ihn nichts außer der Garantie, daß die Kredite, für die wir persönlich hafteten, zurückgezahlt würden. Außerdem mußten unsere Lieferanten bezahlt werden: Alles in allem mehr als $ 250.000.


Waytenas Mittel und Wege

Warum er an uns interessiert war? Weil er eine Marketing- Chance sah. Er hatte tatsächlich bereits eine Handvoll Ingenieure angeheuert, um einen Synthesizer namens Sonic V zu entwickeln. Den Auftrag dazu hatte er im Namen einer seiner Firmen, Musonics, gegeben. Er sagte mir, das würde der nächste Hit als Erwachsenen-Spielzeug werden, und alles, was man tun müsse, sei, Anzeigen für die Dinger in Esquire zu schalten. Dann würde er 5.000 Stück davon verkaufen. (Anmerkung des Herausgebers Keyboard: Nach Waytenas eigener Erinnerung zielte er eher auf den Markt für pädagogische Hilfsmittel.) Das war gar nicht so blöd: Damals waren die Leute tierisch geil auf alle Dinger, die komische elektronische Sounds machten. Wie auch immer, als er das Ding rausbrachte, konnten wir sehen, daß er keine 5.000 verkaufte. Er verkaufte nicht mal 500, denn er hatte keinen Namen, und er hatte keine Produkterfahrung. Also kaufte er R. A. Moog Inc., zog mit der Firma nach Buffalo, vereinigte sie mit Musonics zu einer Firma namens Moog/Musonics, ließ irgendwann Musonics weg - und heraus kam Moog Music.

Das Gebäude, das wir bezogen, war die letzten hundert Jahre eine Gelatine-Fabrik gewesen. Wissen Sie, wie man Gelatine macht? In einer riesigen Halle gab es nichts als Betongruben im Boden, sechs mal zehn Fuß breit und sechs Fuß tief. Diese Gruben wurden mit unglaublich festen Wasserbüffelhäuten gefüllt, beziehungsweise dem, was davon übrig war, denn die Häute stoppten auf ihrem Weg von Indien in Brasilien, wo Getriebe und andere Maschinenteile aus ihnen ausgestanzt wurden, fest, wie sie waren. Die Häute weichten dort ein Jahr lang in Lauge. Dann kochten sie das Zeug in einem Bottich mit Walzen, die es zu einem Brei zerdrückten, filterten die Gelatine aus und trockneten sie mit riesigen Ventilatoren auf Tabletts in einem 60 Fuß langen halbkreisförmigen Tunnel. Wenn hier Gelatine gemacht wurde, konnten Sie es zehn Meilen weit riechen, und jeder Bekloppte in der Gegend hatte hier seinen Job, weil nur Bekloppte an einem solchen Ort arbeiten können. Wenn Sie sich Kurzweil Music heute ansehen, oder auch nur, wie ARP Instruments damals aussah, war Moog Music im Vergleich ein Scheißloch. Ein stinkendes, feuchtes, ungemütliches, unattraktives, nicht fertiggestelltes Scheißloch, in dem wir von März 1971 bis 1974 arbeiteten.


Heimat, Deine Sterne

Dave Van Koevering stammte aus dem Süden, aus einer Familie fundamentalistischer Geistlicher. Er war ein absolutes Genie darin, Leute zu unterhalten, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und sie zu begeistern. Als ich ihn kennenlernte, lebte er davon, Versammlungen an Grundschulen abzuhalten, in denen er neuartige Musikinstrumente vorführte. Zu diesen Instrumenten zählte neben Glasharmonikas auch ein modularer Synthesizer - und darum trafen wir uns.

Dave fand in einem Piano- und Orgelhändler aus St. Petersburg, Florida, einen Partner und entschloß sich, Minimoogs zu verkaufen. Zu dem Zeitpunkt wurden keine Synthesizer oder irgendwelche Instrumente mit Reglern in Musikgeschäften angeboten. Aber Dave hatte eine Vision.

Er ging mit einem Minimoog in ein Musikgeschäft irgendwo mitten in Florida und zeigte ihn dem Eigentümer und dem Verkäufer. Er wurde fast zwangsläufig rausgeschmissen. Dann ging er zum örtlichen Holiday- oder Ramada-Inn und checkte die Bands ab.

Während der Pause zog er die Keyboard-Spieler zur Seite, zeigte ihnen den Minimoog, die Typen flippten aus, und Dave sagte: "Ich sorge dafür, daß Du so'n Ding kriegst." Am nächsten Morgen ging er mit dem Musiker im Schlepptau wieder in das Musikgeschäft, wo sie ihn rausgeschmissen hatten, und sagte: "Hier ist Ihr erster Kunde. Also ordern Sie jetzt zwei Stück!" So kam der Minimoog in die Musikgeschäfte. Es begann an einem denkbar ungünstigen Ort: mitten in Florida.

Van Koevering hatte eine goldene Zunge und enorme Hände, die er beim Reden einsetzte. Er sah aus wie eine Mischung aus Colonel Sanders und dem Music Man. Also stellten wir ihn als Marketing Manager ein. Er blieb ein Jahr bei uns und nahm viele europäische Großhändler unter Vertrag. Waytena hatte aber offenbar den Eindruck, daß Van Koevering als Verkaufskanone nicht ankäme, und so waren seine Tage bei uns gezählt.


Das Big Business schlagt zu(rück)

Die Anekdote! Die wichtigste Anekdote!

Van Koevering stellte fest, daß wir einen Preset-Synthesizer brauchten, etwas ähnliches wie der ARP ProSoloist. Ich fing im Dezember 1971 an. Ich hatte einen Zeichner, der keine geraden Linien ziehen konnte, nicht mit allen Hilfsmitteln dieser Welt, und einen entsprechend unfähigen Designer. Im Juni hatten wir irgendwie einen Prototypen namens Satellite. Bei der NAMM im Juni 1973 wurde er auf einer Wurlitzer-Orgel stehend vorgeführt, und jeder einzelne Orgelhersteller kam und fachsimpelte unsicher darüber. Ein heißes Produkt. Aber es war nicht in Produktion. Waytena beschloß, die Herstellungsrechte zu verkaufen und hatte Ende Sommer einen dicken Fisch an der Angel. Sie wollen erstaunliche, erschreckende, unfaßbare Verkaufszahlen hören? Die Thomas Organ Company unterschrieb, daß sie Satellites in ihre Orgeln einbauen und pro Stück $ 15 Tantiemen zahlen würde. Und das sie 5.000 eigenständige Satellites bauen und pro Stück $ 75 zahlen würde. Pro Stück. Der kalkulierte Endverbraucher-Preis lag bei $ 500. Dies bedeutete, daß die Musikgeschäfte $ 300 zahlten, was hieß, daß die Herstellung nicht mehr als $ 180 kosten durfte, um rentabel zu sein. Aus diesen $ 180 saugte sich Waytena $ 75. Eine rasante Rendite. Der normale Tantiemen-Anteil solcher Produkte liegt bei 5% des Großhandelspreises. In diesem Fall lag er bei mindestens 40%.

Im Geschäftsbericht des kommenden Jahres gab es bei Moog Music einen Posten Zusätzliche Einkünfte - $ 375.000. Das waren die Tantiemen. Mit den anderen Einkünften addiert und gegen die Kosten aufgerechnet ergaben sie den ungewöhnlichen Profit von mindestens 25%. Eine Firma, die 24-25% Gewinn erwirtschaftet, ist natürlich für jeden Geschäftsmann unglaublich attraktiv. Also nahm Waytena den Geschäftsbericht, dieses eine einzige Stück Papier, und verkaufte damit Moog Music an Norlin. "25% Profit vor Steuern!" soll er ihnen erzählt haben, "Besitzen Sie irgendwas, das solche Gewinne abwirft?" Das erstaunlichste war aber eigentlich, daß niemand bei Norlin die zusätzlichen Einkünfte als das einmalige Ding erkannte, das sie waren. (Anmerkung des Herausgebers Keyboard: Waytena nimmt an, daß Moog Musics Reputation als technisch kompetente Firma ein weiterer wichtiger Punkt gewesen ist.)

Ich weiß nicht genau, was Norlin für Moog gezahlt hat: Irgendwas zwischen zwei und zehn Millionen.


Der Sand im Getriebe (kennen Sie ja)

Waytenas besonderer Deal mit Norlin bestand darin, daß er weitere sieben Jahre lang für $ 5.000 im Monat als Manager in der Firma bleiben sollte. Aber er prahlte, daß er sich schon vor Ablauf dieser Frist an der Firma gesundstoßen würde. Noch bevor die Tinte trocken war, wurde er derart schwierig im Umgang, daß sie beschlossen, ihn auszuzahlen. Es dauerte kein Jahr. Den Geschichten zufolge, die damals im Umlauf waren, sagten sie ihm Weihnachten 1973: "Wir schicken Dir Dein Geld. Hau ab." (Anmerkung des Herausgebers Keyboard: Laut Waytena bekam er zehn Jahre lang $ 50.000 pro Jahr).

Ein Beispiel: Ein Teil des Deals war eine Provision, die er aufgrund der verkauften Minimoog-Stückzahlen erhielt. Naja, zu dieser Zeit hatte Moog Music nur einen Abnehmer, und das war Norlin. Also ging er ein paar Monate nach Vertragsunterzeichnung zu einem Norlin-Vorstandsmitglied und sagte: "Ich hab' hier einige Papiere zur Unterzeichnung." Eins der Papiere war ein Auftrag über Minimoogs - 300 pro Monat. Ein paar Monate später kam eine Gruppe Rechnungsprüfer von Norlin vorbei, und dieser 60-Fuß-Tunnel, von dem ich Ihnen erzählt habe, wo die Gelatine getrocknet wurde - dieser Tunnel lief vor Minimoogs über. Vierzehnhundert Minimoogs. Die Rechnungsprüfer rasteten aus. Aber Waytena hatte den schriftlichen Auftrag ...


Der Abstieg und die Vergessenheit

Als Waytena ging, leitete Dave Luce die Technik und Tom Gullo die Herstellung. Ich selbst betrieb bei Norlin meine eigene bescheidene Forschungstätigkeit.

Tom Gullo war ein fähiger Junge, der sich mit großen Problemen rumschlug. Als Norlin uns übernahm, entschieden sie, daß ihre gesamte Herstellung bei Moog zusammengefaßt werden sollte, weil die Lohnkosten in Buffalo niedrig waren. Auf der Grundlage kombinierter Verkaufskalkulationen verpulverten sie $ 2,5 Millionen für Instandsetzungen und Neugeräte. Aber die Kalkulationen waren falsch, und Tom Gullo sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, diese immensen Investitionen zu finanzieren. Also besorgte er Aufträge, Platinen für Fremdfirmen zu bestücken. Da das Musikaliengeschäft nach wie vor mäßig lief (Dave Luces Polymoog ging in Produktion, es waren aber nachträglich an die 300 technische Eingriffe nötig) war Tom mehr und mehr auf Reisen, um die Firma am Laufen zu halten. Ende 1970 war Moog eher Subunternehmer als Hersteller.

Zwei Leute mit vollkommen unterschiedlichen Persönlichkeiten waren für die beiden wichtigsten Aufgabenbereiche verantwortlich. Dave Luce war ein hochgradig intelligenter, technisch ausgebildeter Mann, der einen Hang zu komplizierten, feinsinnigen, verzwickten Dingen hatte. Tom Gullo war ein Herstellungsleiter, der sich alles selbst beigebracht hatte und einen Hang zu simplen, geradlinigen, einfach verständlichen Dingen besaß. Nachdem ich 1977 die Firma verlassen hatte, kaufte Norlin einen Typ namens Dave Bueschel ein, einen Ingenieur mit etwas Management-Schulung. Er versuchte eine zeitlang, die beiden Seiten zu integrieren, schaffte es aber nicht. Als er ging, entschieden die Norlin-Leute in ihrer unendlichen Weisheit, die einzig richtige Methode, einen Präsidenten für Moog Music zu finden, sei, einen Betriebspsychologen einzustellen und vier Leute einem Intelligenztest zu unterziehen: Luce, Gullo, den Verkaufsleiter Neil Smith und den Marketing Manager Herb Deutsch. Dave, der promovierte Absolvent des M.I.T., der komplizierte Lösungen scheinbar einfacher Probleme liebte, gewann den Wettbewerb und wurde Präsident von Moog Music. Der Rest ist bestens bekannt.

Was mich dazu brachte, zu gehen. Oder besser gesagt, was mich dazu brachte, so lange zu bleiben. Ich hatte einen Vierjahresvertrag, den ich erfüllen mußte, um mein Kapital zurückzubekommen. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich früher gegangen.


Das Big Business schlägt zurück (und zwar kräftig)

Nach Moog Music baute ich ein Haus, machte ein paar Auftragsarbeiten und war als Berater tätig, bevor ich bei Kurzweil anfing. Jim Scott, Tom Rhea und ich entwarfen einen sehr schicken analogen Synthesizer für Crumar, den Spirit. Den findet man heute kaum noch. Und ich arbeitete an einem Ding namens Gizmotron.


Das ist eine Geschichte!

Aaron Newman gründete Musitronics und startete die Mu-Tron Pedal Serie, die Anfang und Mitte der siebziger Jahre sehr populär war. Um 1976 kamen Lol Creme und Kevin Godley von 10CC auf ihn zu und zeigten ihm ihre Erfindung einer Gitarrensteuerung, das Gizmotron. Aaron war Gitarrist. Er meinte, daß es mehr Gitarristen als Keyboarder gäbe und daß jeder von ihnen so ein Ding haben müsse. Also fand er mit ARP einen Käufer auf Tantiemenbasis für Mu-Tron und machte mit der Entwicklung des Gizmotrons weiter. Nun ja, es passierten eine Menge Sachen. ARP verloren die Power, ihren Verpflichtungen nachzukommen und bezahlte die Tantiemen nicht mehr. Das Gizmotron war sehr kniffelig zu bauen. Es war auf bestimmte Gummiteile angewiesen, und die Gummiteile funktionierten manchmal und manchmal nicht. Die Herstellung dieser Teile war sehr teuer. Bevor Aaron sich versah, schuldete er seinem Gummilieferanten $ 90.000 und anderen Leuten erheblich mehr - und das Ding konnte immer noch nicht gebaut werden. Aaron versuchte, Geld aufzunehmen, denn die Kreditgeber wurden immer nervöser. Nach sechs Monaten schaffte er es, einen SBA (Small Business Administration, kleiner Geschäftskredit) in Höhe von $ 150.000 zu bekommen. Als Sicherheit wurde alles eingesetzt, was er besaß: sein Haus, sein Auto, einfach alles. Er unterzeichnete die Papiere Montag morgen. In der darauffolgenden Nacht hatte er eine Herzattacke und mußte sechs Wochen ins Krankenhaus. Während er im Krankenhaus war, wurden die ~ 150.000 an die Kreditgeber ausgezahlt. Die Summe reichte aber nicht, und so wurde die Firma in den Bankrott getrieben.

Aaron ist jetzt Versicherungsvertreter (und sogar ein sehr erfolgreicher). So kann's Ihnen gehen im Musikgeschäft.

© Übersetzung: Wieland Samolak
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