Musiktheoretische Grundbegriffe
der Elektronischen Musik sind:
Der Ton, der Klang, das Tongemisch, das Geräusch und der
Zusammenklang. Der Zusammenklang ist identisch mit dem neueren
akustischen Begriff "Klanggemisch".
Der Ton:
Der einfachste Ton, den das Ohr kennt, ist ein Ton von sinusförmigem
Schwingungsverlauf, der sogenannte Sinuston. Dieser reine, einfache
Ton oder Sinuston hat keine Oberschwingungen und demnach keinen
ausgeprägten Klangcharakter. Der Sinuston klingt gleichförmig
strömend und unmoduliert starr. Sein Hauptmerkmal ist die
hüllenlose Direktheit des Tönens. Er klingt in der Farbe
unbestimmt, im Verhältnis zu Instrumenten oft dick und breit.
Mit dem Fehlen der Obertöne hängt es ebenfalls zusammen,
dass das Ohr - sowohl das absolute wie das relative Gehör
- sich an Sinustönen nicht so leicht orientieren kann, wie
an obertonreichen Klängen.
Im Gegensatz zu Intervallen, die meist im Sinne überlieferter
Tonvorstellungen zurecht gehört werden, reagiert das Ohr
außerordentlich empfindlich auf die bei verstimmten Oktaven
und Einklängen entstehenden Schwingungen.
In der Akustik von je her bekannt, ist der Sinuston in der Musik
etwas Neues. Er ist nun auch musikalisch eine letzte fundierende
Einheit, ein Element, aus dem alles was klingt, zusammen gesetzt
ist. Seine zentrale Bedeutung in der Elektronischen Musik wird
nicht durch die subjektiven Gehörserscheinungen eingeschränkt.
Werden solche Sinustöne dynamisch geformt - und zwar durch
sogenannte Hüllkurven - so sind sie musikalisch unbeschränkt
verwendbar.
Der Klang:
Vom Ton oder Sinuston unterscheidet sich der Klang dadurch, dass
er aus einer Reihe von Teiltönen oder Sinusschwingungen harmonisch
zusammengesetzt ist. Spricht man vom Ton einer Geige, Trompete,
Klarinette, usw., so handelt es sich immer um einen zusammengesetzten
Klang, dessen Einzeltöne das Ohr nicht als solche, sondern
als Klangfarbe wahrnimmt.
Der einheitliche Eindruck des Klangs rührt daher, dass die
Frequenzen der Teiltöne harmonisch zum Grundton liegen. Sie
bilden ganze Vielfache der Grundtonfrequenz. Da Klänge zusammengesetzt
sind, können sie auch wieder zerlegt werden. Das geschieht
durch Filter.
Klänge sind zum Beispiel auch die Vokale der Sprache. Die
Summe der Teiltöne des Klangs wird als die Klangfarbe registriert,
die durch die Anzahl und Stärkeverhältnisse der Einzelschwingungen
bestimmt wird. In der traditionellen Musik ist die Klangfarbe
der Instrumente unabänderlich gegeben. Elektronisch dagegen
können die Teilton-Komponenten des Klangs variiert werden,
so dass sich der Komponist gewissermaßen seine eigene elektronische
Instrumentalität schaffen kann.
Das bedeutet, dass der Komponist den Klang nicht mehr fertig von
den Instrumenten bezieht, sondern selbst herstellt. Er komponiert
ihn. Noch bedeutsamer nun wird dieses Klangkomponieren im Tongemisch,
das ein weiterer Begriff der Elektronischen Musik ist. Wie der
Klang ist auch das Tongemisch aus Teiltönen zusammengesetzt,
aber nicht aus Harmonischen sondern aus Unharmonischen. Solche
unharmonischen Teiltongebilde kommen in der Instrumentalmusik
bei Glocken, Röhren, Platten und Stäben vor, die angeschlagen
werden und verklingen. Die Instrumentalmusik kennt das Tongemisch
nur in dieser Form des Anschlags und Verklingens, also des Einschwingvorgangs
und der Hüllkurve. Dagegen lässt sich etwas scheinbar
so Widerspruchsvolles wie ein stationärer Glockenklang nur
elektronisch realisieren.
Solche unharmonischen Klänge oder Tongemische sind nicht
zu verwechseln mit Akkorden. Akkorde entstehen aus Zusammenklängen.
Tongemische dagegen sind immer Sinustongemische. Sie haben einen
höheren Verschmelzungsgrad als Zusammenklänge, können
weit einheitlicher Klang werden als Instrumental-Akkorde. In der
Instrumentalmusik sind Klang und Zusammenklang klar geschieden.
Elektronisch schiebt sich hier das Tongemisch mit seinen neuartigen
Verschmelzungsgraden dazwischen. Das Tongemisch ist eine völlig
neue Dimension des Kompositorischen. In ihm scheinen sich übrigens
die vielen und nie bewältigten Widersprüche der sogenannten
Atonalität endlich zu lösen. Besonders interessant sind
Tongemische, deren unharmonische Teiltöne in der Nähe
von Harmonischen eines Klangs liegen.
Solche Tongemische lassen sich kompositorisch orten, so dass die
Klangstruktur zu einem Teil der Werkstruktur werden kann. Ist
ein klangliches Gebilde durch eine besonders dichte Teiltonfolge
unharmonischer Lage definiert, so spricht man von einem Geräusch.
Herbert Eimert: Einführung in die Elektronische Musik, Wergo Schallplatte, ca. 1963